Kommunaler Schutzschirm – Schutzschirm oder Daumenschraube?

Hintergründe und Aufruf zum Mitmachen

Wie Sie sicherlich der Presse entnommen haben, gibt es derzeit in Hessen eine lebhafte Diskussion um den so genannten „Kommunalen Schutzschirm“. Dabei handelt es sich formal um das Hessische Schutzschirmgesetz, beschlossen vom Hessischen Landtag am 21. Mai diesen Jahres. Den Gesetzestext können Sie hier nachlesen.

Die Stellungnahme der hessischen Grünen dazu finden Sie hier.

Der Kommunale Schutzschirm ist ein Entschuldungsfonds.  Das Land Hessen gewährt insgesamt Einsparungshilfen von 2,8 Milliarden Euro, die von den Kommunen in unterschiedlicher Höhe wahrgenommen werden können. Kommunen, die bestimmte Kriterien erfüllen, können dort einen Teil ihrer Schulden einbringen. Diese  dann in Darlehen umgewandelten Schulden werden fortan nicht mehr in der Bilanz der Gemeinden geführt. Allerdings müssen die Kommunen über die gesamte Laufzeit weiterhin Zinsen bezahlen, wenn auch zu einem reduzierten Satz, welcher aktuell noch nicht fest steht. Das Land gewährt dabei eine Zinshilfe von 1% über die Gesamtlaufzeit von 30 Jahren. Die Gemeinde kann zusätzlich eine weitere Zinshilfe von 1% über die ersten 15 Jahre und 0,5% auf die verbleibenden 15 Jahre beantragen. Die Tilgung der Darlehen übernimmt das Land komplett. Die Zinsbindung läuft nach jeweils 10 Jahren aus.

Es können nicht alle Altschulden eingebracht werden. Es sind Entschuldungshilfen bis zu einer Höhe von 46% der Schulden des kommunalen Kernhaushaltes (bezogen auf 2009) möglich.

Um an diesem Verfahren teilzunehmen, bzw. weiter teilnehmen zu dürfen bedarf es eines formellen Antrages der Kommunen mit konkreten Vorschlägen zur Kostenreduktion bis zum 29.06.12. Dieser Antrag stellt noch keinen endgültigen Eintritt in den Kommunalen Schutzschirm dar, sondern lediglich eine Willensbekundung, den Schutzschirm in Anspruch zu nehmen.

Die Nauheimer Parteien haben hier bereits Anfang des Jahres den Pfad gelegt, der es dem Gemeindevorstand ermöglichte, den Antrag formal zu stellen. Mit Beschlussvom 23.02.2012 der Gemeindevertretung wurde der Vorstand ersucht zu prüfen, ob und in welchem Umfang Nauheim unter den Schutzschirm treten darf.

In interfraktionellen Gesprächen ist  Einigkeit darüber erzielt worden, dass die Gemeinde Nauheim – auch unabhängig vom Schutzschirm – einen Weg finden muss, einerseits auch zukünftig ihren Aufgaben nachzukommen und andererseits die Attraktivität nicht völlig aufzugeben.

Das strukturelle Defizit in Nauheim beläuft sich aktuell auf knapp 3 Millionen Euro im Jahr. Bei einer Einwohnerzahl von 10.050 macht das knapp 300 Euro neue Schulden pro Kopf und Jahr (unabhängig von Alter und sonstigen Faktoren).

Auf den ersten Blick scheint der Kommunale Schutzschirm mit der vorgesehenen Entschuldung und der Zinshilfen ein Schritt in die richtige Richtung. Trotz Sparpolitik steigen die Schulden in den betroffenen Gemeinden immer weiter an.

Dabei ist die finanzielle Schieflage durchaus nicht komplett eigenverantwortet. Änderungen beim kommunalen Finanzausgleich führten zu einer faktischen Kürzung von Mitteln. Darüber hinaus wurden und werden den Gemeinden immer neue Aufgaben auferlegt, z.B. bei der Betreuung der unter 3-jährigen Kinder. Dazu kommen steigende Energie- und Personalkosten, Steuerausfälle, u.v.m. Die hessischen Kommunen weisen bundesweit mit das höchste Gesamtdefizit auf.  Die hessischen Landkreise gehören dabei seit Jahren die zu den am höchsten verschuldeten in ganz Deutschland.

Die Zinsverbilligungen und das Entschuldungsvolumen können kaum allein zu einer Reduktion des Defizits beitragen . Die  Verantwortung für die weitere Reduzierung des Defizits geht mit Beitritt zum Schutzschirm auf die Kommunen über – und dies unter Androhung von harten Sanktionen bei Nichterfüllung.

Mit der Beantragung der Mittel aus dem Schutzschirm ist zwingend die Bereitschaft zur Haushalts-Konsolidierung verbunden. Über mehrere Jahre soll sukzessive das Haushaltsdefizit abgebaut werden. Ausgehend vom durchschnittlichen Fehlbetrag der Jahre 2010/2011 empfiehlt das Land mit einem Konsolidierungsbetrag von 100,- € pro Einwohner und Jahr anzufangen. Ziel ist ein ausgeglichener Haushalt spätestens bis zum Jahre 2020. Danach sollen Geldschulden nur noch dann aufgenommen werden, wenn der Zinsaufwand dafür nicht zum Verfehlen des Haushaltsausgleichs führt. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass die Pro-Kopf-Verschuldung pro Jahr in Nauheim derzeit bei € 300,00  liegt, wird klar, dass auch unpopuläre Entscheidungen getroffen werden müssen.

Durch die Übernahme von Altschulden im Rahmen der Schutzschirmvereinbarung wird Nauheim zwar deutlich weniger Zinsen zahlen müssen, aber das reicht bei weitem nicht aus, um das vorgegebene Ziel zu erreichen.

Jede weitere Maßnahme zur Haushaltskonsolidierung wird den Bürger auf die eine oder andere Art treffen, sei es durch die Erhöhung von Steuern und Gebühren oder durch die Verringerung des Leistungsangebotes.

Das Hessische Ministerium des Inneren und für Sport und der Präsident des Hessischen Rechnungshof haben einen Leitfaden zur Haushaltskonsolidierung für die Schutzschirm-Kommunen herausgegeben: 

Konsolidierungshandbuch Schutzschirm

Dort findet man Vorschläge zu diese „unpopulären Maßnahmen“

In Nauheim wird derzeit über alle Parteigrenzen hinweg über Maßnahmen gesprochen, die ergriffen werden können. Dabei gibt es de facto derzeit keine Tabus oder Denkverbote. Alle Beteiligten sind sich über das Ziel einig, allerdings gibt es – und dies ist sicher kein Geheimnis – derzeit noch Unstimmigkeiten über den Weg.

Bedacht werden muss hierbei auch, dass je Kopf ein Konsolidierungsbetrag von 100,- € / Jahr steht. Bei einem 4 Personenhaushalt und einem Alleinverdiener, kann dies de facto auch eine Mehrbelastung von 400,- € / Jahr bedeuten. Auf die Sozialverträglichkeit ist entsprechend also zu achten.

Für die Gemeinde Nauheim gilt es – auch unabhängig vom Kommunalen Schutzschirm – den angehäuften Schuldenberg abzutragen und natürlich auch neue Schulden zu vermeiden und dabei idealerweise ihre Attraktivität noch zu behalten.

Aber: mit einer Ausgabensenkung und einer Erhöhung von Steuern, Gebühren und Beiträgen ist es nicht getan.

Auch die konsequente Einforderung des Konnexitätsprinzips gegenüber dem Land Hessen (z.B. bei der Kinderbetreuung) ist unabdingbar, da immer mehr Aufgaben vom Land auf die Kommunen abgewälzt werde, ohne dafür die notwendigen finanziellen Mittel zu erhalten. Zuletzt musste dies sogar gerichtlich eingefordert werden.

„Wenn das Land die Kommunen zur Erfüllung staatlicher oder neuer kommunaler Aufgaben verpflichtet, hat es aufgrund Artikel 137 Abs. 6 der Hessischen Verfassung auch die Aufbringung der erforderlichen finanziellen Mittel zu regeln. Das gilt ebenso bei Ausweitungen bestehender staatlicher oder kommunaler Aufgaben.

Mit dieser Ausgleichsregelung wird sicher gestellt, dass sich das Land nicht auf Kosten der Kommunen finanziell entlasten kann. Ferner sind die Kommunen davor geschützt, dass ihnen vom Land neue kommunale Aufgaben auferlegt werden, ohne die dafür notwendigen Finanzmittel zu erhalten. Die Kostenregelung kann darin bestehen, dass den Kommunen die notwendigen Finanzmittel aus dem Landeshaushalt zur Verfügung gestellt werden oder dass eine neue Einnahmequelle eröffnet werden muss. Auch die Entlastung von bestehenden Aufgaben ist als Ausgleichsregelung möglich. Die Einzelheiten des Ausgleichsverfahrens sind mit dem Gesetz zur Sicherstellung der Finanzausstattung von Gemeinden und Gemeindeverbänden vom 7. November 2002 (GVBl. I S. 654) geregelt worden“

Die meisten „Schutzschirm-Kommunen“ wie auch Nauheim haben den Antrag gestellt, doch es gibt auch Gemeinden, wie z.B. Biebesheim, die auf den Rettungsschirm verzichten. Die dortige Gemeindevertretung ist der Ansicht, dass die Nachteile durch die umfangreichen und langfristigen Auflagen überwiegen. Ein Standpunkt, der durchaus verständlich ist.

Wie geht es weiter?

Die Diskussion, wie die Haushaltskonsolidierung realisiert worden kann, hat gerade erst begonnen. Im Laufe des kommenden Halbjahres werden die ersten Ergebnisse der Interfraktionellen Arbeitsgruppe veröffentlicht und sicherlich in die Haushaltsberatungen für 2013 einfließen.

Wir wünschen uns, dass alle Nauheimer BürgerInnen an dieser Diskussion teilnehmen und Vorschläge in jeder Richtung einbringen. Auch würden wir gerne erfahren, wie Sie als BürgerIn zum Kommunalen Schutzschirm stehen.

Wir wünschen uns auf jeden Fall eine rege Beteiligung auch mit ungewöhnlichen und neuen Ideen.

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