Die letzte (ungehaltene) Rede

Die Fraktionen der Gemeindevertretung haben im Ältestenrat beschlossen, dass in diesem Jahr aufgrund der aktuellen Pandemielage keine Haushaltsreden gehalten werden sollen. Wir als Fraktion der Grünen halten uns an diese Absprache. Nicht desto trotz wollen wir den Haushalt nicht kommentarlos verstreichen lassen und veröffentlichen die ungehaltene Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Marco Müller an dieser Stelle:

Sehr geehrter Gemeindevertretervorsteher,

Sehr geehrter Bürgermeister,

Liebe Gemeindevertreter*innen,

Liebe Bürger*innen,

„Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen.“

Selten zuvor waren diese Worte so wahr und die Maßnahmen so besonders.

Fast ein Jahr Pandemie.

Und auch an Nauheim und seinen Gremien geht diese nicht spurlos vorbei.

Wir müssen Prioritäten setzen. Und die oberste Priorität muss lauten: wir wollen Leben schützen! Man kann darüber streiten, ob die Gemeindevertretung Leben schützt, wenn sie nicht tagt.

Man kann aber nicht darüber streiten, dass die Gemeindevertretung, oder besser die Politik an sich, Vorbildfunktion hat. Wenn wir Menschen Kontaktverbote und Hygienevorschriften auferlegen, wenn wir Ausgangssperren verhängen oder Aufenthaltsverbote aussprechen – dann müssen wir immer auch Vorbild sein! Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Vorbild ist, in einer Zeit, in der die Infektionsgefahr wieder deutlich zunimmt, eine vierstündige Sitzung abzuhalten. Also eigentlich bin ich mir sehr wohl sicher: es ist aus meiner Sicht kein Vorbild. Oder ein sehr schlechtes.

Ja, Verwaltung muss funktionieren. Ja, eilbedürftige Entscheidungen müssen zeitnah getroffen werden. Keine Frage!

Aber gilt diese Eilbedürftigkeit eines Haushaltes? Noch dazu für einen Haushalt mit vielen Unwägbarkeiten und Unbekannten? Einen Haushalt, dessen Elemente ebenfalls abhängig sind von der Entwicklung der Pandemie selbst? Für die Eilbedürftigkeit selbst gibt es das Instrument des neuen Paragrafen 51a in der Hessischen Gemeindeordnung. Verlagerung von Entscheidungen auf Fachausschüsse oder den Haupt- und Finanzausschuss und Abhaltung dieser mit Videokonferenz sind möglich. Umlaufbeschlüsse ebenfalls. Wenn diese Eilbedürftigkeit für den Haushalt nicht gesehen wird, sollte meines Erachtens die Sitzung abgesagt, die Beschlussfassung auf einen Zeitpunkt in der Zukunft verschoben und nicht wie heute bei einer rechnerischen Inzidenz in Nauheim von 140,1 (bei 97,2 im Gesamtkreis Groß-Gerau) abgehalten werden.

Der Haushalt ist in diesem Jahr sicher nicht eilbedürftig. Viele Dinge, die wir jetzt einplanen, werden in diesem Jahr nicht mehr begonnen werden. Dies schlägt sich auch nieder in einigen Anträgen der Fraktionen, bestimmte Investitionen zu verschieben oder zu strecken.

Eine vorläufige Haushaltsführung, wie wir sie auch derzeit seit Anfang Januar praktizieren, kann sogar Sparen helfen! Man beschränkt sich auf die rechtlichen Verpflichtungen und absolut notwendigen Ausgaben. Außerplanmäßige Ausgaben können nach Paragraf 100 HGO auch dann vorgenommen werden.

Und Warten hat uns ja in diesem Haushalt bereits geholfen, sehr geehrte Damen und Herren.

Allein durch die Reduktion der Kreisumlage spart Nauheim fast 350.000 Euro und mit den vorhandenen Rücklagen ist am Ende sogar ein leichter Haushaltsüberschuss darstellbar. Durch die Verschiebung des Haushaltsbeschlusses haben sich Effekte ergeben, die sich unter dem Strich positiv auswirken und wir als Grüne Fraktion sind überzeugt, dass dies auch bis zur Haushaltsgenehmigung noch weitere positive Effekte haben wird.

Unabhängig davon sehen wir diesen Haushalt als eine Art Übergangshaushalt. Wie zuvor schon erwähnt, wird die Pandemie uns auch in den nächsten Wochen und Monaten noch fest im Griff haben. Vieles von dem, was wir alle für dieses Jahr geplant haben, wird sich an den tatsächlichen Begebenheiten und Rahmenbedingungen orientieren müssen, die derzeit nicht seriös vorherzusehen sind.

Wir alle hoffen, dass die Maßnahmen, die derzeit getroffen werden, bald schon ein Ende finden. Umgekehrt sollten wir nach der Erfahrung der letzten 12 Monate nicht überrascht sein, wenn dies eben nicht so kommt.

Die Fraktion der Grünen begrüßt ausdrücklich, dass der Haushalt für das Jahr 2021 ohne Anhebung von Steuern und Gebühren auskommt und die Bürger*innen der Gemeinde somit nicht höher belastet werden müssen. Hier zeichnet sich aus, dass die Gemeinde Nauheim in den vergangenen Jahren Rücklagen bilden konnte. Natürlich sind damit vor allem zwei Dinge verbunden:

  1. Es wurden bereits in der Vergangenheit nicht alle geplanten Maßnahmen zu den geplanten Zeitpunkten durchgeführt werden. Planungen sind eben Planungen.
  2. Wurde nicht verfrüht aus Wunsch auch Wirklichkeit. Seriöse Haushaltsplanung bedeutet auch, dass Steuersenkungen nur dann durchgeführt werden können, wenn die Haushaltsplanung stabil ist.

Wir als Fraktion haben uns in den vergangenen Jahren immer dafür eingesetzt, mit dem zu haushalten, was auch serös verplant werden kann. Wir konnten dabei nicht alle unsere Vorstellungen durchsetzen und haben auch nicht jedem Haushalt zugestimmt. Dies wird in diesem Jahr anders sein.

Wir begrüßen inhaltlich ausdrücklich einen Teil der gestellten Anträge der anderen Fraktionen, wenngleich wir aus oben genannten Gründen diese an anderer Stelle in der Zukunft besser aufgehoben, weil besser planbar, sehen. Wir freuen uns auch, dass die Themen, die Grüne in den vergangenen Jahren allein gesetzt haben, jetzt von anderen aufgegriffen wurden. Dazu zählen insbesondere die Themen Klima- und Landschaftsschutz, Biodiversität, Photovoltaik und Mobilität. Ob dies allein mit der Kommunalwahl zusammenhängt, wird man künftig sehen müssen.

Dazu zählt aber auch, dass man unsere Gedanken zum Thema Planungskosten im Jahr 2019 wieder aufnimmt und zumindest teilweise diese wieder in die Kernverwaltung zurückführen möchte, soweit dies möglich ist.

Wir finden es bedauerlich, dass man das, was man vorne aufbaut, hinten teilweise wieder einreißt. Ein bedarfsgerechter Parkplatz am Friedhof bedeutet eben nicht, dass der Bedarf an 1 von 100 Tagen ausgerichtet wird, sondern umgekehrt. Und man muss den Klimaschutz letztlich eben auch oder gerade beim Thema Wald denken.

Die Fraktion der Grünen wird dem vorgelegten Haushaltsplan, der Haushaltssatzung und dem Investitionsplan in diesem Jahr zustimmen!

Zum Abschluss meiner Rede möchte ich mich bei den Mitarbeiter*innen der Verwaltung für die Zuarbeit in den vergangenen 5 Jahren bedanken. Dieser Dank gilt insbesondere den Schriftführer*innen in den Ausschüssen, Herrn Künnecke für die Betreuung der Gremien und des Ratsinformationssystems und Herrn Pritsch, sowie Frau Feldhausen stellvertretend für ihre Mitarbeiter*innen.

Ich möchte aber auch Ihnen, liebe Kolleg*innen, bedanken. Für die anstehenden Wahlen wünsche ich Ihnen allen, sofern Sie an diesen teilnehmen, viel Erfolg.

Vielen Dank!

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