Wir müssen reden…

Ein persönlicher Beitrag von Marco Müller, Fraktionsvorsitzender:

Die Sitzung der Gemeindevertretung in Nauheim am vergangenen Donnerstag hinterlässt bei mir einen bitteren Beigeschmack.

Eigentlich nur eine extrem kurze Tagesordnung mit wenig Streitpotential. Insbesondere, da alle Tagesordnungspunkte zuvor in den Ausschüssen einstimmig beschlossen wurden und als Tagesordnungspunkt A in die Gesamtabstimmung der Tagesordnung hätten gehen können (mit Ausnahme der Archiv-Satzung, die aber immer einzeln entschieden werden muss).

So kam es dann aber nicht. Im Grunde muss man feststellen, dass der Wunsch den Antrag der SPD für eine bessere visuelle Begleitung von Gemeindevertretersitzungen nicht unter A zu behandeln, sondern einzeln aufzurufen, eigentlich gut war. Denn, die Verabschiedung von Tagesordnungspunkten unter A ist für Bürger ja oft nicht zu verstehen, haben sie nicht an den Ausschusssitzungen teilgenommen. Im Grunde war genau dies ein erster richtiger Schritt hin zu mehr Bürgerbeteiligung. Was aber dann geschah, war ein Spiegelbild der parlamentarischen Arbeit der letzten Monate. Ja, eigentlich Jahre! Es war ein, wenn nicht der Tiefpunkt, den wir vielleicht auch gebraucht haben.

Wurde der SPD-Antrag auch in der vorangegangenen Sitzung des Haupt- und Finanzauschusses von Teilen der Politik gar nicht oder nur sehr wenig kommentiert und dort auch einstimmig beschlossen, formierte sich ein Maximalwiderstand auf Seiten der CDU Nauheim, der FLN und der FDP (die zuvor im HFA sogar noch für den Antrag der SPD Nauheim plädiert hatte). Und wer der Debatte folgte, musste schnell feststellen, dass es den Gegnern des Antrages nicht um den Inhalt des Antrages ging, sondern letztlich um die Tatsache, dass es sich um einen SPD-Antrag handelte und dieser abgelehnt werden sollte.

Während Gerd Petersen von der FDP seine Ablehnung noch mit Kosten (die überhaupt noch nicht beziffert waren) begründete, brachten sich CDU und FLN aus meiner Sicht um Kopf und Kragen. Während man im ersten Teil der Debatte noch betonte, dass man dem Antrag zustimmen werde, wenn es sich um einen Prüfantrag handeln würde, lehnte man am Ende genau dies ab.

O-Ton in der Sitzung:

“Schreiben Sie über den Antrag ‘Prüfantrag’ dann stimmen wir zu, der Rest ist dann OK.”

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Antrag: NULL! Als dann Daniel Schmidt den Antragstext so modifizierte, dass es sich auch inhaltlich um einen klaren Prüfantrag handelte, wurde es vollkommen absurd. Eine vorgeschlagene Sitzungsunterbrechung zur Abstimmung in den Fraktionen von 15 Minuten wurde abgelehnt. Die Änderungen am Antragstext seien zu komplex, sich in so kurzer Zeit mit der Fraktion abzustimmen.

Ich möchte dies hier mal visualisieren. Der ursprüngliche Antragstext:

Ab der kommenden Legislaturperiode (2021-2026) wird der Verlauf von Sitzungen der Gemeindevertretung, der Ausschüsse etc. durch visuelle Darstellung und Begleitung der Tagesordnung, der Anträge und Beschlussvorlagen und gff. weiterer geeigneter Sitzungsunterlagen unterstützt.
Hiermit soll die Nachvollziehbarkeit von Sitzungsverlauf, Vorlagen, Änderungsanträgen etc. v.a. für Zuschauerinnen und Zuschauer erhöht werden.
Ein entsprechendes Konzept hierfür ist bis Ende des Jahres 2020 zu erarbeiten.

Der geänderte Antragstext:

Die Verwaltung wird beauftragt ein Konzept bis Ende des Jahres 2020 zu erarbeiten, inwiefern der Verlauf von Sitzungen der Gemeindevertretung, der Ausschüsse etc. durch verbesserte Darstellung und Begleitung der Tagesordnung, der Anträge und Beschlussvorlagen und ggf. weiterer geeigneter Sitzungsunterlagen unterstützt werden kann.
Hiermit soll die Nachvollziehbarkeit von Sitzungsverlauf, Vorlagen, Änderungsanträgen etc. v.a. für Zuschauerinnen und Zuschauer erhöht werden.

Entscheidet selbst, was das Thema Komplexität angeht. Ich halte die Änderungen für gering, aber effektiv, und es für sehr einfach hier eine Entscheidung zu treffen. Die Wahrheit ist aber: Es war zu keinem Zeitpunkt vorgesehen, dem Antrag auch nur den Hauch einer Chance zu geben! Um den Antrag zu retten wurde er letztlich zurückgestellt.

Ich habe im Anschluss der Sitzung eine persönliche Erklärung abgegeben, in der ich mal meine Sicht auf die Dinge dargelegt habe. In der Tat bin ich der Auffassung, dass wir kein Problem mit der Visualisierung in Gemeindevertretersitzungen haben. Wir haben ein ganz grundsätzliches Problem

  • in der Debattenkultur,
  • in der inhaltlich nicht stattfindenden Auseinandersetzung
  • und wir haben ganz offensichtlich ein Problem mit Öffentlichkeit.

Und dieses Problem besteht nicht erst seit ein paar Wochen oder Monaten oder ist in irgendeiner Art und Weise mit Wahlkampf zu erklären. Es sei denn, man erklärt den Dauerwahlkampf.

Dieses Problem besteht im Grunde bereits die gesamte Wahlperiode 2016/21.

  • Wie oft wurde aus fadenscheinigen Gründen die Nicht-Öffentlichkeit beschlossen?
  • Wie oft wurde in den Ausschüssen seitens der Vorsitzenden versucht die Antragsstellung zu verdrehen, Anträge wegzudrücken oder neue Wordings in den Beschluss einzubauen, die vom Antragssteller gar nicht akzeptiert wurden (insbesondere immer dann, wenn es sich um SPD-Anträge handelte)?
  • Wie oft haben wir in den Gemeindevertretungen eine Debattenkultur gezeigt, die Menschen vor den Kopf gestoßen haben?
  • Wie oft wurden Dinge versucht in nicht-öffentliche Arbeitskreise zu verlagern, wo sie dann liegenbleiben?

Zu oft!

Wer mehr Bürgerbeteiligung möchte, muss damit aufhören. Jetzt!

Wir müssen aufhören, Bürgerbeteiligungssimulation zu betreiben. Wir müssen uns endlich auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren, einlassen und unsere Positionen klar erklären. Und inhaltlich bedeutet inhaltlich und es bedeutet eben nicht despektierlich! Es muss aber ein Diskurs und eine Auseinandersetzung stattfinden.

Und das alles muss öffentlich passieren. Nicht hinter vorgehaltener Hand. Transparent, für alle sichtbar!

Das bedeutet für mich dann letztlich auch:

  • Ich werde keiner Verschiebung von Themen in irgendwelche nicht-öffentlich tagenden Arbeitskreise mehr zustimmen.
  • Ich werde an Sitzungen nicht mehr teilnehmen, wenn der Beschluss auf Nicht-Öffentlichkeit nicht 100% klar auf Grundlage der HGO getroffen wurde. Und dafür ist es nicht relevant, dass es beschlossen wurde, sondern es ist relevant, dass der Grund für die Nicht-Öffentlichkeit tatsächlich HGO-konform ist. Ein Punkt, der mehrfach missachtet wurde in den letzten 4 Jahren.
  • Ich rege an, dass es künftig eine Tagesordnung A nur noch in Ausnahmefällen gibt! Gerade dies ist ein Punkt, der Bürger immer wieder auch verwirrt und ihn der Sitzung nicht folgen lässt.
  • Ich rege an, dass auch bei klaren Beschlusslagen alle Vorlagen und Anträge in der Gemeindevertretung noch einmal kurz vorgestellt werden. Dies sollte meines Erachtens in einem Berichtsrahmen der Ausschüsse passieren. D.h. die Ausschussvorsitzenden stellen die Ergebnisse ihres Ausschusses in neutraler Form in der Gemeindevertretung vor.

Ich gehe davon aus, all das gilt letztlich auch für die Mitglieder der Fraktion Grüne Nauheim.

Es muss sich etwas ändern. Wir müssen reden!

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